Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in der Schweiz
Vertragspartner /von Guido ImfeldIn einem richtungsweisenden Entscheid von 2008 hatte das Schweizerische Bundesgericht erstmals entschieden, dass ein exklusiver Vertragshändler unter bestimmten Umständen bei Beendigung des Vertriebsvertrages zwingend einen Ausgleichsanspruch hat.
Im Vergleich: Das deutsche Handelsrecht enthält keine Bestimmungen über den Vertragshändler, kennt dementsprechend auch keinen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers bei Beendigung des Vertrages. Allerdings ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass in den Fällen, in denen der Vertragshändler in das Distributionssystem des Prinzipals vergleichbar einem Handelsvertreter einbezogen ist, maßgeblich zum Beispiel, wenn eine Verpflichtung zur Mitteilung und Überlassung von Kundendaten besteht, § 89b HGB – der den Handelsvertreterausgleich betrifft – analog anwendbar ist. Das belgische Recht hingegen kennt in den Artikeln X.35 ff. des Wirtschaftsgesetzbuches (Code de droit économique) einen zwingenden Ausgleichsanspruch bei Beendigung eines auf unbestimmte Dauer geschlossenen exklusiven Vertragshändlervertrages.
In 2008 wählte die das Schweizerische Bundesgericht eine Lösung des Konfliktes analog der deutschen Rechtsprechung, indem es die Bestimmung des Handelsvertreterrechts bezüglich der Goodwill-Entschädigung von Vertragshändlern analog anwendete und einem Vertragshändler eine solche Entschädigung zusprach.
Eingangs seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2019 bestätigte das Schweizerische Bundesgericht die Grundsätze seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 2008. Das Gericht lehnte jedoch im vorliegenden Fall einen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers ab und bestätigte damit die Entscheidung des Vordergerichts. Eine Goodwill-Entschädigung für Vertriebspartner bleibt nach Schweizer Recht eine Ausnahme und ist nicht, wie in Belgien, die Regel.
1. Der Grundsatzentscheid vom 22. Mai 2008
In seiner Entscheidung von 2008 befand der Oberste Gerichtshof, dass die handelsvertreterrechtlichen Bestimmungen über den Handelsvertreterausgleich analog auf Vertragshändler anzuwenden ist, wenn der Vertragshändler stark in das Vertriebssystem des Prinzipals integriert ist und aufgrund seiner begrenzten wirtschaftlichen Freiheit die Stellung des Vertriebshändlers der eines Handelsvertreters (in Schweizer Diktion: Agenten) ähnelt. Wenn der Vertriebshändler diese Bedingung erfüllt und sich so als Quasi-Handelsvertreter qualifiziert, hat er einen zwingenden Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
– der Vertragshändler hat durch seine Marketingaktivitäten den Kundenstamm des Lieferanten entweder aufgebaut oder erheblich erweitert;
– die vom Vertragshändler erworbenen Kunden werden wahrscheinlich seinen Produkten auch nach Beendigung des Vertrages treu bleiben, sodass der Prinzipal in Zukunft in erheblichem Maße von dem vom Vertragshändler geschaffenen oder erweiterten Kundenstamm profitieren wird; und
– eine Goodwill-Entschädigung ist weder unbillig, noch hat der Vertragshändler die Vereinbarung ohne Grund gekündigt oder durch sein Verhalten die Kündigung des Lieferanten verursacht.
In dem Grundsatzentscheid von 2008 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Stellung des Vertragshändlers als Quasi Handelsvertreter, weil der Vertragshändler die vertraglichen Verpflichtungen hatte,
– dem Lieferanten die Namen seiner Kunden sowie Informationen über seinen Umsatz und seine Buchhaltungsunterlagen mitteilen,
– Verkaufs- und Marktberichte einreichen,
– Mindestmengen von Produkten zu kaufen und Mindestmengen auf Lager zu halten, und
– jedes Jahr einen Mindestbetrag für Marketingaktivitäten bereitzustellen.
Gleichzeitig war der Lieferant berechtigt, die Preise und Lieferbedingungen einseitig zu ändern, die Produktion der Produkte einzustellen und neue Verkaufsstellen zu genehmigen.
Da der Vertragshändler im Fall von 2008 nicht nur als „Handelsvertreter“ qualifiziert wurde, sondern auch die anderen Bedingungen für eine Goodwill-Entschädigung erfüllte, sprach der Oberste Gerichtshof zum ersten Mal in der Schweizer Rechtsgeschichte eine solche Entschädigung zu.
2. Die Entscheidung vom 8. Oktober 2019
In seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2019 bestätigte der Oberste Gerichtshof, dass ein exklusiver Vertragshändler Anspruch auf eine Goodwill-Entschädigung haben kann, wenn seine wirtschaftliche Situation in der Beziehung mit der eines Handelsvertreters vergleichbar ist. Der Oberste Gerichtshof bezog sich ausdrücklich auf seine Entscheidung vom 22. Mai 2008 und stellte dabei klar, dass das analoge Recht eines Vertragshändlers auf Goodwill-Entschädigung von den besonderen Umständen des Falles abhängt und nur in Ausnahmefällen zuerkannt wird.
Obwohl sich der Oberste Schweizer Gerichtshof in seiner Entscheidung auf exklusive Vertragshändler bezog, befasste er sich nicht mit der Frage, ob auch ein nicht-exklusiver Vertragshändler Anspruch auf eine Kulanzentschädigung haben kann. Dies ist nach wie vor eine in der Schweiz unentschiedene Frage. Da sich die vom Gerichtshof geprüften Kriterien nicht auf die Frage der Exklusivität oder Nicht-Exklusivität bezogen, ist davon auszugehen, dass auch ein nicht-exklusiver Vertragshändler einen Anspruch auf eine Kulanzentschädigung haben könnte, sofern er die vorstehenden Voraussetzungen für einen solchen Anspruch erfüllt.
In der Entscheidung 2019 ging es jedoch im Wesentlichen nicht um die analoge Anwendung der Vorschriften zur Goodwill-Entschädigung von Vertragshändlern. Das Gericht setzte sich im Schwerpunkt mit der Frage des Vorliegens der Tatbestände der Treue der Kunden zu den Produkten des Prinzipals und den Vorteilen, die dieser aus dem vom Vertragshändler aufgebauten Kundenstamm auch nach Beendigung des Vertrages noch ziehen kann, auseinander. Diese Überlegungen gelten dabei nicht nur für die Beendigung von Vertriebsvereinbarungen, sondern weitgehend auch für die Beendigung von Handelsvertreterverträgen und der Frage, ob dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch zusteht.
Insbesondere bestätigte der Oberste Gerichtshof, dass die Beweislast für die Loyalität der Kunden zu den Produkten und dementsprechend für den substanziellen Nutzen des Lieferanten nach der Kündigung beim Händler liegt. Der Vertragshändler muss darlegen und beweisen, dass die von ihm geworbenen Kunden dem Produkt auch nach Beendigung treu bleiben und dementsprechend der Lieferant in erheblichem Maße von dem durch den Vertragshändler geschaffenen oder vergrößerten Kundenstamm profitiert. Im vorliegenden Fall verneinte der Oberste Gerichtshof jedoch das Vorliegen dieser Voraussetzung, weil die Umsätze des neuen Vertragshändlers, die dieser mit den Produkten des Prinzipals nach Übernahme des Vertriebsvertrages erzielte, in den ersten 6 Monaten nach Übernahme des Vertriebs um 90 % eingebrochen waren. Im konkreten Fall erholten sich die Umsätze erst nach einem halben Jahr auf ein Niveau von etwa 50 Prozent der Verkäufe des vorherigen Vertragshändlers. Effektiv hatte der Prinzipal daher nach Beendigung des Vertrages keine unmittelbaren Vorteile aus der Tätigkeit des gekündigten Vertragshändlers.
Da die tatsächlichen Verkaufszahlen nicht den Schluss zuließen, dass die Kunden den Produkten treu blieben, sah der Oberste Gerichtshof davon ab, die anderen Bedingungen für einen Ausgleichsanspruch zu prüfen, darunter die Integration des Vertriebshändlers in das Vertriebssystem des Lieferanten und seine Position als „Handelsvertreter“. Die Vorinstanz hatte diese Tatbestandsmerkmale im konkreten Fall verneint und damit erneut gezeigt, dass eine Goodwill-Entschädigung für Vertragshändler nach Schweizer Recht nach wie vor nur in Ausnahmefällen zuerkannt wird.
3. Schlussfolgerung
Diese Entscheidung bestätigt, dass Vertragshändler zwar unter bestimmten Umständen Anspruch auf einen Ausgleichsanspruch haben können, eine solche Entschädigung für Vertragshändler jedoch eine Ausnahme bleibt. Dementsprechend bleibt das Schweizer Recht eine bevorzugte Wahl für Lieferanten im internationalen Vertrieb.
Um die Risiken eines zwingenden Anspruchs auf eine Goodwill-Entschädigung zu vermeiden, sollte der Vertrag jedoch so gestaltet werden, dass die dem Handelsvertreter entsprechende Integration des Vertragshändlers in das Vertriebssystem des Prinzipals nicht in dem Vertrag abgebildet wird, es sei denn, dies ist ausdrücklich gewollt. Dann muss man allerdings auch die Konsequenzen in Kauf nehmen. Denn ist dies der Fall, ist die analoge Anwendung des Handelsvertreterrechts, genauso wie dies in Deutschland der Fall ist, zwingend und auch durch eine Rechtswahl nicht auszuschließen, jedenfalls wenn und soweit der Vertragshändler seinen Sitz in der Schweiz hat bzw. dort seine Tätigkeit ausübt. Genauso verhält es sich auch in Deutschland und in Belgien Anwendung jeweiligen nationalen Rechtsprechung bzw. Gesetze zum Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers.
Zur Vermeidung späterer Streitigkeiten sind die Parteien jedenfalls gut beraten, zu Beginn eines Vertragshändlervertrages bereits die Bestandskunden und deren Umsätze zu dokumentieren sowie gegebenenfalls Anhaltspunkte für die Berechnung, zumeist die konkrete Berechnung einer Bruttomarge als Anhaltspunkt für den Ausgleichsanspruch, in den Vertrag aufzunehmen.
Guido J. Imfeld
Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht