Schutz schwächerer Vertragspartner vor unfairen Wettbewerbspraktiken im belgischen Recht – insbesondere Klauselkontrolle auch im Bereich B2B
Vertragspartner /von Guido ImfeldAm 24.05.2019 veröffentlichte der Belgische Staatsanzeiger (Moniteur Belge) das Gesetz zur Änderung des Wirtschaftsgesetzbuches in Bezug auf den Missbrauch wirtschaftlicher Abhängigkeit, rechtswidrige Vertragsklauseln und unlautere Marktpraktiken.
Das Gesetz, durch das die Artikel VI.91/1 – /6 in das belgische Wirtschaftsgesetzbuch (Code de droit économique) eingefügt werden, wird in Zukunft wesentlichen Einfluss auf die Vertragsgestaltung im unternehmerischen Bereich haben. Soweit das Gesetz die inhaltliche Kontrolle von Vertragsklauseln im unternehmerischen Verkehr betrifft, handelt es sich hier um ein Novum.
Im Einzelnen:
1
Bereits am 01.09.2019 in Kraft getreten ist der Teil des Gesetzes, der sich mit unlauteren Marktpraktiken beschäftigt.
Das schon im Gesetz verankerte allgemeine Verbot unlauterer Geschäftspraktiken wird durch besondere Vorschriften über irreführende und aggressive Geschäftspraktiken ergänzt. Diese Regeln kodifizieren überwiegend von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze und erstrecken einige Bestimmungen aus dem Verbraucherrecht auf den B2B-Bereich.
2.
Am 01.06.2020 trat der Teil des Gesetzes über den Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit in Kraft.
Inspiriert wurde die Gesetzgebung durch die Artikel 101 und 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Das belgische Wirtschaftsgesetzbuch verbietet damit nationale wettbewerbswidrige Vereinbarungen und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Es wird unabhängig von Eingriffsschwellen eine neue Kategorie von wettbewerbswidrigen Praktiken als unzulässig erklärt. Danach ist es verboten, die wirtschaftliche Abhängigkeit zu missbrauchen, in der sich ein Unternehmen befindet, wodurch der Wettbewerb auf dem relevanten belgischen Markt oder einen wesentlichen Teil desselben beeinträchtigt werden könnte.
Die Position der wirtschaftlichen Abhängigkeit wird definiert als eine Position der Abhängigkeit eines Unternehmens gegenüber einem oder mehreren anderen Unternehmen, die durch das Fehlen einer vernünftigen gleichwertigen Alternative gekennzeichnet ist, die innerhalb eines angemessenen Zeitraums, unter angemessenen Bedingungen und zu angemessenen Kosten verfügbar ist und daher dem dominierenden Unternehmen erlaubt, der anderen Partei Verpflichtungen oder Bedingungen aufzuzwingen, die unter normalen Marktbedingungen nicht erreicht werden könnten.
In folgenden Fällen besteht die Vermutung eines Missbrauchs nach dem Gesetz:
• die Verweigerung eines Verkaufs, eines Kaufs oder anderer Transaktionsbedingungen;
• die direkte oder indirekte Auferlegung von unfairen Kauf- oder Verkaufspreisen oder anderen unfairen Vertragsbedingungen;
• die Beschränkung der Produktion, des Verkaufs oder der technischen Entwicklung zum Nachteil der Verbraucher;
• die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen auf gleichwertige Leistungen gegenüber Wirtschaftspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;
• die Abhängigkeit des Abschlusses von Vereinbarungen davon, dass zusätzliche Leistungen ausbedungen werden, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch mit dem Gegenstand der Vereinbarung im Zusammenhang stehen.
Die belgische Wettbewerbsbehörde kann bei einem Verstoß gegen das Gesetz Geldstrafen von bis zu 2 % des Umsatzes des betreffenden Unternehmens verhängen, wenn sie nach Prüfung zu dem Schluss gelangt, dass das dominierende Unternehmen die wirtschaftliche Abhängigkeit eines anderen Unternehmens missbraucht hat. Darüber hinaus wird dem dominierten Unternehmen ein Klagerecht eingeräumt, um den Schaden zivilrechtlich zu kompensieren.
3.
Von ganz erheblicher Bedeutung ist der Teil des Gesetzes, der sich mit rechtswidrigen Klauseln in Verträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen beschäftigt. Bislang gab es im belgischen Recht so gut wie keine AGB-Kontrolle im B2B-Bereich, abgesehen von der Generalklausel, wonach eine AGB-Klausel dann rechtswidrig ist, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligt. Dies sind in aller Regel Bestimmungen, die wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränken, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Naturgemäß ist der Anwendungsbereich dieser Generalnorm eingeschränkt.
Am 01.12.2020 tritt nun das Verbot der Verwendung rechtwidriger Vertragsklauseln in Kraft, wobei die Besonderheit, z.B. im Vergleich zum deutschen Recht, darin liegt, dass nicht nur AGB-Klauseln, sondern Vertragsklauseln allgemein von dem Verbot betroffen sind. Im deutschen Recht gelten die Beschränkungen des AGB-Rechts dann nicht, wenn der Verwender beweisen kann, dass in Wirklichkeit eine Individualklausel vorliegt. Voraussetzung der Berufung auf eine Individualklausel ist, dass der Verwender beweisen kann, dass er den Inhalt der fraglichen Klausel ausdrücklich zur Disposition und Verhandlung der Parteien gestellt hat und es hierüber zu einer individuellen Einigung gekommen ist. Die Darlegungslast ist dabei relativ hoch. Eine rhetorische Frage oder ein Abnicken von AGB durch den Vertragspartner reicht hierzu nicht aus.
Das belgische Recht geht jedoch weiter, indem es selbst Klauseln, die individuell ausgehandelt wurden, einem Verbot unterlegt. Ähnlich wie bei den Gruppenfreistellungsordnungen und angelehnt an das deutsche AGB-Recht wird unterschieden zwischen schwarzen und grauen Vertragsklauseln. Der Unterschied liegt darin, dass die schwarzen Klauseln per se nichtig sind, während für die grauen Klauseln eine Vermutung der Nichtigkeit besteht, die der Verwender jedoch widerlegen kann.
Unwiderlegbar nichtig sind Klauseln,
• die dazu dienen, eine unwiderrufliche Verpflichtung der anderen Partei zu schaffen, während die Erfüllung der Verpflichtung des Unternehmens an eine Bedingung geknüpft ist, deren Verwirklichung ausschließlich vom Willen des Verwenders abhängt;
• die dem Unternehmen das einseitige Recht geben, jede Vertragsklausel nach ihrer Intention auszulegen;
• wonach die Gegenpartei im Streitfall auf alle Regressmöglichkeiten gegen das Unternehmen verzichten muss oder
• die unwiderlegbar die Kenntnis oder die Annahme von Klauseln durch die andere Partei feststellen, während letztere vor dem Abschluss des Vertrages nicht in der Lage war, von diesen Klauseln tatsächlich Kenntnis zu erlangen.
Hinsichtlich letzterer Klausel ist allerdings zu vermerken, dass das Gesetz nicht für öffentliche Ausschreibungen gilt. In öffentlichen Ausschreibungen verwendet die Öffentliche Hand in aller Regel genau diese Klausel, wonach der Auftragnehmer, der sich zu einem Pauschalbetrag zur Erbringung von Leistungen verpflichtet, erklären muss, dass er vor Abgabe des Angebots sämtliche Umstände des Vertrages und der Situation vor Ort etc. kennt, was in aller Regel tatsächlich nicht der Fall ist.
Graue Klauseln sind solche, die
• einem Unternehmen das Recht einräumen, den Preis, die Merkmale der Ware oder die Bedingungen des Vertrages einseitig zu benennen oder ohne triftigen Grund zu ändern;
• einen befristeten Vertrag stillschweigend verlängern oder erneuern, ohne eine angemessene Kündigungsfrist vorzusehen;
• das wirtschaftliche Risiko der anderen Partei ohne Gegenleistung auferlegen, während dieses Risiko normalerweise von dem anderen Vertragspartner getragen würde;
• die gesetzlichen Rechte eines Unternehmens im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung einer seiner vertraglichen Verpflichtungen durch das andere Unternehmen unangemessen ausschließen oder einschränken;
• die Parteien binden, ohne das Recht einzuräumen, durch eine angemessene Kündigungsfrist den Vertrag zu beenden;
• ein Unternehmen von seiner Haftung für vorsätzliches oder groß fahrlässiges Verhalten, oder, außer in Fällen höheren Gewalt, für die Nichterfüllung der wesentlichen Verpflichtungen, die Gegenstand des Vertrages sind, freistellen;
• die Beweismittel, auf die die andere Partei sich zur Geltendmachung ihrer Ansprüche stützen kann, beschränken;
• die Entschädigung im Falle der Nichterfüllung oder verspäteten Erfüllung der Verpflichtungen der anderen Partei festlegen und dabei eine Entschädigung bestimmen, die offensichtlich in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, der dem Unternehmen entstehen kann.
Diese am 01.12.2020 in Kraft tretenden Bestimmungen gelten allerdings nur für Vereinbarungen und Verträge, die entweder nach diesem Datum geschlossen, erneuert oder geändert wurden, nicht aber für Verträge, die vorher abgeschlossen wurden und seitdem unverändert in Kraft sind. Daher sollte man sich je nach Interessenlage bei bestehenden Verträgen gut überlegen, diese zu ergänzen oder abzuändern oder eben eine Änderung oder Ergänzung provozieren.
4.
Der Schutz von Unternehmen vor Marktmissbrauch durch dominante Unternehmen wird mit diesem Gesetz ausgeweitet. Zu begrüßen ist vor allem die AGB-Kontrolle im B2B-Bereich, die es in diesem Umfang bislang im belgischen Recht nicht gab. Dabei beschränkt sich die belgische Gesetzgebung auf das Wesentliche und beging nicht den Fehler des deutschen Gesetzgebers, der effektive Haftungsbeschränkungen durch AGB unmöglich gemacht hat. Allerdings ist durchaus von Nachteil, dass keine Bereichsausnahme für Individualvereinbarungen geschaffen wurde. Möglicherweise kann man dies jedoch dadurch temperieren, dass bei den grauen Klauseln die Widerlegung der Vermutung der Nichtigkeit dadurch erreicht werden kann, dass man triftige Gründe für die Vereinbarung dieser Klauseln im Einzelfall darlegt. Der Aufwand hierfür dürfte nicht höher sein als der Dokumentationsaufwand für das Vorliegen einer Individualklausel im deutschen Recht.
Guido J. Imfeld
Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht