Das Ende der HOAI? – Was tun?
Allgemein /von Guido ImfeldAm 23.06.2017 leitete die Europäische Kommission eine Vertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, wegen der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), vor dem EuGH ein (Rechtssache C-377/17).
Der Generalanwalt beim EuGH Szpunar trug in der Verhandlung vom 28.02.2019 seine Schlussanträge vor. Nach der Ansicht der Europäischen Kommission verstößt die HOAI, die für Planungsleistungen ein System von Mindest- und Höchstpreisen für Leistungen dieser Berufsgruppe vorsieht, gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 15 Absatz 1, Absatz 2 lit. g und Absatz 3 der Richtlinie 2006/123/EG, Art. 49 AEUV).
Sie erschwere die Niederlassung von Architekten und Ingenieuren, die mit Angeboten außerhalb des zugelassenen Preisrahmens mit etablierten Anbietern in diesem Bereich in Wettbewerb treten wollten. Diese Anbieter würden daran gehindert, Leistungen in gleicher Qualität zu niedrigeren Preisen und Leistungen in höherer Qualität zu höheren Preisen zu erbringen. Diese Beschränkung sei nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht durch das Interesse an der Wahrung der Qualität der Dienstleistungen, welche nämlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Preis stehe.
Der Generalanwalt machte sich diese Auffassung zu eigen. Eine Rechtfertigung für die inkriminierte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sowohl durch Mindest- als auch Höchstpreise sei nicht ausreichend belegt worden. Hinsichtlich der vorgetragenen zwingenden Gründe (Wahrung der Qualität der Dienstleistungen sowie des Verbraucherschutzes) müsse die Bundesrepublik Deutschland darlegen, inwieweit die Bestimmungen diesen Zielen dienten. Aus seiner Sicht seien die Mindest- und Höchstpreise nicht verhältnismäßig. So habe die Bundesrepublik Deutschland bereits die Geeignetheit von Mindestpreisen nicht nachgewiesen. Dies gelte im Hinblick auf die Behauptung, dass ein System ohne Mindestpreise zu einem Marktversagen führen würde. Auch sei nicht erwiesen, dass eine ausreichend gute Qualität nur durch ein System wie die HOAI und nicht durch das Marktprinzip von Angebot und Nachfrage gewährleistet werden könne. Zudem seien die Mindestpreise nicht erforderlich. Das Kriterium der Erforderlichkeit würde voraussetzen, dass die Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, und dass sie nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden könnten. Auch dieser Nachweis sei nicht geführt worden. So wären weniger einschneidende Maßnahmen wie z.B. berufsethische Normen, Haftungsregelungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat denkbar.
Die Höchstsätze seien zwar als geeignet anzusehen, den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten (Transparenz und Schutz vor überhöhten Honorarforderungen), jedoch ebenfalls nicht erforderlich. Insbesondere sei nicht belegt worden, warum z.B. Preisorientierungen, die Verbrauchern eine konkrete Vorstellung ermöglichen, wie eine Dienstleistung üblicherweise vergütet wird, nicht wirksam ihre Interessen schützen würde.
Nicht immer, jedoch in aller Regel folgt der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalsanwalts. Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die HOAI als europarechtswidrig verworfen wird. Es wird abzuwarten bleiben, ob das Gericht mit Deutschland eine Übergangsfrist einräumt.
Architekten tun daher gut daran, bereits jetzt in ihrer Vertragspraxis unabhängig von der HOAI konkrete Vergütungen für ihre Dienstleistungen zu vereinbaren. Die Bezugnahme auf die HOAI zur Festlegung der Vergütung wird bescheinigt in Zukunft nicht mehr tauglich sein. Es würde dann an einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung fehlen. Folge wäre, dass nur die ortsübliche und angemessene Vergütung gefordert werden kann (§ 632 Abs. 2 BGB). Dabei wird wahrscheinlich die Bezugnahme auf die HOAI zur Begründung einer gesetzlichen Vermutung versagen, weil die HOAI Mindest- und Höchstpreise kennt, die keine eindeutige Zuordnung der Honorare zu den Leistungen erlauben. Zu berücksichtigen wäre von den Gerichten auch der sogenannte effet utile, wonach jedwede staatliche Maßnahme, d. h. auch gerichtliche Urteile, den Rechtsakten der Europäischen Union zur Durchsetzung verhelfen muss. Die gesetzliche Anwendbarkeit der HOAI durch eine richterrechtlich zu entwickelnde gesetzliche Vermutung zu ersetzen, würde die zu erwartende Entscheidung des europäischen Gerichtshofes jedoch ins Leere laufen lassen. Bedenken begegnet der Hinweis, berufsethische Normen, Haftungsregelungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat wären ein geeignetes Mittel. Denn vor Jahren hatte der EuGH bereits entschieden, dass solche Empfehlungen der regionalen Rechtsanwaltskammern bezüglich Anwaltshonoraren in Belgien kartellrechtswidrig seien.
Wir müssen uns daher darauf einstellen, dass die Architekten künftig ihre Honorare frei werden verhandeln und vereinbaren müssen. Hierzu sollten insbesondere rechtswirksame allgemeine Geschäftsbedingungen vorgesehen werden.
Guido Imfeld
Rechtsanwalt / Avocat / Advocaat
Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht