Vertriebsrecht: Abgrenzung von aktivem und passivem Verkauf im Rahmen von Vertriebsverträgen
Vertriebsrecht /von Guido ImfeldIn Vertriebsverträgen finden sich häufig Klauseln, wonach es einem Vertragshändler, dem ein bestimmtes Vertragsgebiet zugewiesen wird, verboten ist, Kunden außerhalb des Vertragsgebietes zu beliefern, allzumal, wenn diese exklusiv einem anderen Vertragshändler oder dem Hersteller selbst vorbehalten sind.
Wie nachstehend aufgezeigt wird, ist dieses Verbot – außerhalb des hier nicht thematisierten Bereichs der selektiven Vertriebssysteme – unter bestimmten Voraussetzungen für den aktiven Verkauf wirksam, für den passiven jedoch nicht. Die Abgrenzung ist allerdings im Einzelfall nicht immer einfach.
Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern tangieren das Kartellverbot des Art. 101 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Gesetzlich geregelt ist der Umfang erlaubter Vereinbarungen in der Europäischen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen vom 20.4.2010 („Vertikal-GVO“). Das europäische Kartellrecht gilt durch Bezugnahme im deutschen Kartellrecht (GWB) auch unmittelbar in Deutschland.
Kartellrechtliche Sanktionen sind zwar nur bei Erreichen bestimmter, in aller Regel bei 30 % angesiedelter Marktschwellen auf Verkäufer- oder Käuferseite zu gewärtigen. Allerdings ist die Vertikal-GVO jedenfalls in dem Bereich der in Art. 4 und 5 Vertikal-GVO aufgelisteten sogenannten Kernbeschränkungen zu beachten. Denn abseits der kartellrechtlichen Sanktion droht bei einem Verstoß gegen diese die Nichtigkeit des Vertriebsvertrages aufgrund von § 134 BGB. Im Falle des Verstoßes gegen Kernbeschränkungen hilft auch eine salvatorische Klausel gemäß § 139 BGB nicht mehr.
Verboten ist gemäß Art. 4 b) i) Vertikal-GVO eine Vereinbarung, die die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das oder an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer Vertragswaren verkaufen darf, vorsieht oder bewirkt. Ausgenommen hiervon ist die Beschränkung des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kundengruppen, die der Anbieter sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen hat.
Die EU-Kommission verfolgt daneben das Ziel, den Internetvertrieb im Interesse eines stärkeren Preiswettbewerbs und einer breiteren Produktauswahl zu fördern. Daher muss es grundsätzlich jedem Händler erlaubt sein, das Internet zum Verkauf von Produkten zu nutzen, damit mehr und andere Kunden erreicht werden können. Die Kommission ordnet den Betrieb einer Website ausdrücklich als Form des passiven Verkaufs ein.
Bereits hieraus ergibt sich folgendes:
1. Das Verbot des passiven Verkaufs ist (außer in eng umgrenzten Ausnahmefällen in dem hier nicht thematisierten Bereich des selektiven Vertriebs) unwirksam.
2. Das Verbot des aktiven Verkaufs in ein bestimmtes, dem Händler nicht zugewiesenes Gebiet ist grundsätzlich zulässig, allerdings nur, wenn der Hersteller sich selbst dieses Gebiet vorbehalten oder es exklusiv einem dritten Vertriebsmittler zugewiesen hat.
3. Der Verkauf über Internet-Plattformen ist immer passiver Vertrieb und ein dahingehendes Verbot des Vertriebs über Internet ist unwirksam (außer in eng umgrenzten Ausnahmefällen in dem hier nicht thematisierten Bereich des selektiven Vertriebs).
Die Vertikal-GVO enthält selbst keine Definition des aktiven und passiven Verkaufs. Lediglich in den Leitlinien zur Vertikal-GVO sind Anhaltspunkte enthalten.
Nach den Leitlinien meint «aktiver» Verkauf die aktive Ansprache einzelner Kunden, z.B. durch E-Mail-Direktwerbung, oder die aktive Ansprache einer bestimmten Kundengruppe oder von Kunden in einem bestimmten Gebiet über Werbung in den Medien oder im Internet, die sich gezielt an die betreffende Kundengruppe oder gezielt an die Kunden in dem betreffenden Gebiet richtet. Auch Werbung, die für den Händler nur interessant ist, wenn sie (auch) eine bestimmte Kundengruppe erreicht, gilt als «aktiver» Verkauf im Hinblick auf diese Kundengruppe.
Dagegen liegt nach den Leitlinien lediglich passiver Verkauf vor, wenn der Händler unaufgeforderte Bestellungen von einzelnen Kunden ausführt. Verkaufsförderungsmaßnahmen, die auch Kundengruppen erreichen, die anderen Händlern (ausschließlich) zugewiesen sind, gelten dann als passiv, wenn diese Kundengruppen nur reflexartig erreicht werden und die Werbemaßnahme bei vernünftiger Betrachtungsweise auch dann durchgeführt worden wäre, wenn diese Kundengruppen nicht erreicht werden würden. Der Kunde in dem dem Händler vorbehaltenen Territorium ist in einem solchen Fall nur ein Beifang einer nicht gezielt an diesen adressierten Werbung.
Daher erfordert der Begriff des aktiven Verkaufs tatbestandlich ein absatzförderndes Tätigwerden des Anbieters. Vereinfacht gesprochen wird also beim aktiven Verkauf der Verkäufer, d. h. hier der Händler zuerst tätig, um den Verkaufsprozess einzuleiten, während beim passiven Verkauf der Käufer unaufgefordert, d.h. aus eigener Initiative den ersten Schritt in Richtung Vertragsschluss macht.
Soweit der Händler daher aktiv keine verkaufsfördernden Maßnahmen die Vertragsprodukte betreffend unternimmt und dem gebietsfremden Kunden auch aus eigener Initiative kein Angebot zu dem Erwerb der betroffenen Produkte unterbreitet, ist es ihm nicht verboten, auf Bestellung des Käufers (passiv) Produkte zu liefern, hinsichtlich derer ein Verbot des aktiven Verkaufs in ein anderes Gebiet besteht.
Dies dürfte auch in dem Fall gelten, dass der Händler an Kunden außerhalb seines Vertragsgebietes, die anderen Vertriebsmittlern vorbehalten sind, allgemeine Werbung, zum Beispiel eine Vielzahl von Produkten enthaltende Kataloge versendet, die auch, aber eben nicht vor allem, die fraglichen, von der Wettbewerbsbeschränkung betroffenen Vertragsprodukte enthalten. Soweit die Werbung sich nicht ausdrücklich an andere oder dem Hersteller vorbehaltene Kunden richtet und nicht zielgerichtet die fraglichen Vertragsprodukte im Fokus der Werbung stehen, ist eine hierauf gegründete Bestellung des gebietsfremden Käufers ein passiver Verkauf. Denn das Vorhalten und das Versenden zum Beispiel eines allgemeinen Sortimentskataloges ist bei vernünftiger Betrachtung eine sinnvolle und notwendige Werbemaßnahme, die sich nicht gezielt an bestimmte Kunden oder Gebiete richtet. Allerdings soll dies nicht zur Umgehung einladen: Wenn und soweit der Eindruck entsteht oder erweckt wird, es handele sich tatsächlich um die Bewerbung der vertragsgegenständlichen Produkte im Gewande und unter dem Vorwand einer allgemeinen Werbung, wird es schnell zu Konflikten im Vertriebsvertrag kommen. Es gilt immer der allgemeine Grundsatz: Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben zu leben.
Im Zweifel empfehlen wir eine Vorab-Information an die betroffene Vertragspartei und eine Klärung der Sach- und Rechtslage zwischen den Parteien, bevor ein Konflikt eskaliert und die Gerichte befasst werden müssen. Zu berücksichtigen ist allerdings in jedem Fall die klare Tendenz des europäischen und nationalen Kartellrechts, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Zweifel unwirksam sind.
Guido J. Imfeld
Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht